Im Alter macht der Körper meist nicht mehr so mit, wie in jungen Jahren: Die Muskelkraft lässt nach, die Beweglichkeit ist eingeschränkt und auch das Gehör und die Augen werden schlechter. Als junger und gesunder Mensch kann man diese Veränderungen nicht so leicht nachempfinden. Um trotzdem ein Gefühl dafür zu bekommen, wie es sich anfühlt zu altern, haben zwei ehemalige Auszubildende der St. Elisabeth Gruppe einen Selbstversuch unternommen und einen Alterssimulationsanzug angezogen.
Sandy Nawrath und Tim Böcker absolvierten in der St. Elisabeth Gruppe die dreijährige Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege. Durch ihre Praxiseinsätze, die Teil der Ausbildung sind, haben beide viel Kontakt zu älteren und kranken Menschen. Empathie ist dabei ein wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit. Manchmal ist es aber gar nicht so einfach, nachvollziehen zu können, welche Tätigkeiten für einen älteren Menschen herausfordernd sind. Um sich noch besser in die Lage ihrer Patienten versetzen zu können, nahmen die beiden Auszubildenden an einem Experiment teil.
Um zu testen, wie es sich anfühlt, zu altern, zogen Sandy Nawrath und Tim Böcker einen sogenannten Alterssimulationsanzug an. Dieser besteht aus verschiedenen Elementen und ermöglicht, altersbedingte Einschränkungen am eigenen Körper zu spüren. Durch das Tragen einer schweren Weste kann die nachlassende Kraft im Alter und die zunehmende körperliche Belastung nachempfunden werden. Die Beweglichkeit ist durch Bandagen an den Gelenken eingeschränkt. Zusätzlich wird auch das Sehen durch eine Spezialbrille und die Geräuschempfindung durch Ohrstöpsel und einen Gehörschutz gemindert. Anhand verschiedener Aufgaben, erfuhren die Auszubildenden so am eigenen Körper, welche Einschränkungen das Alter so mit sich bringt.
Durch das Tragen von Gehörschutz und Ohrstöpseln werden alterstypische Probleme, zum Beispiel das Verstehen von Sprache, simuliert. Kaum hatte Sandy Nawrath den Gehörschutz aufgesetzt, machte sich schon eine Veränderung bemerkbar. „Um mich herum habe ich alles sehr leise und undeutlich gehört. Ich musste oft nachfragen, weil ich etwas nicht verstanden habe“, berichtet die damals 18-jährige Auszubildende. Dadurch konnte sie Unterhaltungen in ihrer Umgebung nicht richtig folgen.
Bildunterschrift (BU): Die ehemalige Pflegeauszubildende Sandy Nawrath setzt einen Gehörschutz auf, um nachvollziehen zu können, wie es ist schlecht zu hören.
Was für junge Menschen häufig zwischen Tür und Angel passiert, ist für ältere Menschen eine Herausforderung: beispielsweise das Schnürsenkel binden. Durch die Gewichte an ihrem Körper fühlte Sandy Nawrath schon nach wenigen Minuten eine körperliche Anstrengung. Außerdem waren ihre Gelenke durch den Anzug steif und unbeweglich. „Es ist gar nicht so einfach, vornübergebeugt die Schnürsenkel zu fassen zu bekommen und dann noch zu binden“, erzählt die Auszubildende. „Ich bin froh, dass ich bei dieser Übung sitzen konnte, aber es war trotzdem anstrengend und dauerte länger als sonst. In meinem Alltag müsste ich dafür mehr Zeit einplanen.“
BU: Gar nicht so einfach: Schnürsenkel zubinden mit Gewichten an den Handgelenken.
Mal eben die Treppe nehmen, um nicht auf den Aufzug warten zu müssen. Für einige eine willkommene Fitnessübung. Für ältere Menschen sind allerdings schon wenige Treppenstufen eine echte Hürde. Durch die eingeschränkte Sicht, das zusätzliche Gewicht und die unbeweglichen Gelenke, fiel es auch Tim Böcker deutlich schwerer als sonst, einige Treppenstufen zu nehmen. Unsicher ging er ein paar Schritte. „Ich fühlte mich ziemlich wacklig auf den Beinen und musste häufig nach unten auf meine Füße schauen, um einen Fuß vor den anderen setzen zu können“, so der ehemalige Auszubildende. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so anstrengend sein kann, eine Treppe hoch zu laufen.“
BU: Tim Böcker setzt beim Treppensteigen vorsichtig einen Fuß vor den Anderen.
Nach der ganzen Anstrengung brauchten die beiden erst einmal eine Erfrischung. Aber auch in der Küche traten unerwartete Hürden auf. „Ich wollte eine Wasserflasche öffnen und habe sie kaum aufbekommen“, berichtet Sandy Nawrath. Durch die Gewichte an ihren Handgelenken spürte sie, wie es sich anfühlt, wenn die Kraft in der Hand nachlässt. Auch eine eingeschränkte Beweglichkeit des Ellenbogens wird durch den Anzug simuliert.
BU: Keine leichte Übung: Das Öffnen einer Wasserflasche.
Beim Greifen von Geschirr aus einem hohen Küchenschrank kam Tim Böcker ins Schwitzen. „Es war wirklich anstrengend, etwas von so weit oben zu greifen und zu halten“, beschreibt der ehemalige Auszubildende die alltägliche Tätigkeit.
BU: Der Altersanzug erschwert das Greifen von Schüsseln aus einem hohen Küchenschrank.
Die Situation kennen viele Menschen. An der Kasse steht eine ältere Dame oder ein älterer Herr und sucht im Portemonnaie nach Kleingeld. Oftmals wird das mit Ungeduld gestraft. Dabei fallen solche Handlungen älteren Menschen schwerer. Ihre Augen sehen schlechter und auch die Hände sind nicht mehr so beweglich. Durch die Spezialbrille konnte Sandy Nawrath nur unscharf sehen und auch ihr Gesichtsfeld war eingeschränkt. Außerdem ließ durch die Spezialhandschuhe die Greiffähigkeit ihrer Hände nach. Die ehemalige Auszubildende versuchte Kleingeld aus einer Geldbörse zu nehmen und genau abzuzählen. „Mir fiel es vor allem schwer, die kleinen Münzen zu greifen. Und auch das Geld auseinanderzuhalten war gar nicht so einfach. Ich musste schon genau hinschauen“, berichtet die damals 18-Jährige.
BU: Beim Zählen von Geld muss Sandy Nawrath ganz genau hinschauen.
Sowohl Sandy Nawrath als auch Tim Böcker empfehlen jedem, sich mit Hilfe eines Altersanzuges in die Situation älterer Menschen hineinzuversetzen, wenn sich die Möglichkeit bietet. „Der Selbstversuch hat uns gezeigt, wieso manche Tätigkeiten älteren Menschen schwerfallen und wie dies den Tagesablauf beeinflussen kann“, erzählt der ehemalige Auszubildende. Diese Erfahrungen können sie nun in ihren Berufsalltag miteinfließen lassen. „Ein Verständnis für ältere Menschen ist in der Pflege sehr wichtig. So ein Experiment hilft dabei, sich noch besser in Patienten hineinversetzen zu können“, betont Sandy Nawrath.